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Stoßlüften im Darkroom

Von Nora Eilers

Wir sitzen im selbsternannten Wohnzimmer des SchwuZ, dessen Name auf eine TravestieIkone verweist – die Pepsi Boston Bar. In diesem Raum finden die unterschiedlichsten Veranstaltungen statt, von Drag-Shows, Karaoke-Abenden, Dark-Room Bar Nights bis hin zu Podiumsdiskussionen. Eine solch diverse Raumnutzung fordert ein durchdachtes Lüftungskonzept. Es gibt jedoch keine Fenster, wie also für frischen Wind sorgen? COMo ist ein Projekt der Technologiestiftung Berlin, welches mit Hilfe von Sensoren Betreiber:innen von öffentlichen Innenräumen dabei unterstützen möchte, ihre Raumluft zu verbessern. Die Sensoren messen die Kohlendioxidkonzentration im Raum und machen diese auf der COMo-Plattform visuell sichtbar. Die Betreiber:innen haben dadurch die Möglichkeit, sich über die Qualität ihrer Raumluft zu informieren und nach Bedarf für eine Frischluftzufuhr zu sorgen. COMo will dabei helfen, sich wohlzufühlen und mögliche Krankheitserreger in der Luft zu verringern. Das SchwuZ ist seit Anfang April 2022 Teil unseres Projekts und deshalb finden wir, es ist an der Zeit, Luft ins Dunkel zu bringen und herauszufinden, wie die Betreiber:innen unsere zwei CO2-Sensoren nutzen. Im Gespräch mit Marcel Weber, einem der beiden Geschäftsführer, erfahren wir, wie engagiert er sich um eine qualitativ hochwertige Raumluft kümmert.

Foyer der Pepsi Boston Bar im SchwuZ Queer Club Berlin

Sobald man einen Raum betritt, wird man von der Raumluft begrüßt. Wie wichtig ist dem SchwuZ eine gute Raumluft?
Eine gute und angenehme Raumluft ist für mich besonders aus der Perspektive eines Geschäftsführers ein großes Anliegen. Das SchwuZ ist ein Safer Space, in dem sich alle Menschen sicher und aufgehoben fühlen sollen. Die Leute bezahlen außerdem Geld für ihren Eintritt, wir möchten ihnen entsprechend den Aufenthalt so angenehm wie möglich gestalten – dazu gehört für mich auch eine gute Raumluft.

Man merkt sofort, dir liegt das Thema sehr am Herzen! Ist Luftqualität auch für dich als Privatperson ein wichtiges Thema?
Auch als Privatperson habe ich natürlich viele Berührungspunkte mit dem Thema Raumluft, ich denke, es geht uns allen so, auch wenn es uns oftmals nicht bewusst ist. Der Knackpunkt ist, dass Luftqualität etwas ist, das wir nicht sehen können. Wir wissen zum Beispiel nicht, wie viel Feinstaub uns tatsächlich umgibt. Ich fahre täglich mit dem Fahrrad zur Arbeit und manchmal spüre ich natürlich, dass ich an einigen Tagen weniger gut atmen kann, als an anderen. So signalisiert mir mein Körper, dass die Umgebungsluft schlecht ist. Aber natürlich spielt auch Raumluft eine wichtige Rolle für mich. Bei uns kam der Zigarettenqualm aus der Nachbarwohnung über den Balkon in die eigene Wohnung – deshalb haben wir uns auch privat einen Luftreiniger gekauft.

Hat die Pandemie deinen Blick auf eine gute Raumluft noch einmal geschärft?
Das SchwuZ hat schon vor der Pandemie auf gute Luftqualität geachtet. Ich denke, Krisen führen dazu, dass das, was eh schon im Argen liegt, in den Fokus gerückt wird. Expert:innen nennen das den Brennglaseffekt. Gleichzeitig sind Krisen auch ein Beschleuniger, sich mit gewissen Themen endlich genauer auseinanderzusetzen, die einfach nicht länger ignoriert werden können. Eins der ganz großen Themen unserer Zeit ist natürlich die Klimakrise. Wir werden immer mehr Zeit in Innenräumen verbringen, weil es draussen zu heiss oder die Luftqualität zu schlecht ist – an einem durchdachten Raumluftkonzept sollte deshalb unbedingt gearbeitet werden.


Raumluft geht uns alle etwas an! Wie arbeitet das SchwuZ-Team in Sachen Luftqualität zusammen?
Für viele Mitarbeitende war das Thema Raumluft am Anfang keine große Sache. Aber jetzt habe ich einige Mitstreiter:innen dazugewonnen, die selbst stark insistieren, die Raumluft kontinuierlich zu verbessern. Das unterstützt mich auch besonders in der Planung zusammen mit den Eigentümer:innen des Gebäudes, in dem sich das SchwuZ befindet. Als wir hier eingezogen sind, hatten wir noch keine Möglichkeit, selbst Einfluss zu nehmen, das hat sich jetzt aber zum Glück verändert und dieses Privileg wollen wir aktiv nutzen. Wir versuchen Konzepte für eine bessere Raumluft direkt mitzudenken. Bei diesem Vorhaben
hat uns auch COMo sehr unterstützt, da wir reale Daten vorweisen und mit einer wissenschaftlichen Grundlage das Gespräch führen konnten.

Gibt es weitere Beispiele, bei denen COMo euch einen konkreten Mehrwert liefern konnte?
Wir hatten vor Kurzem eine Veranstaltung, bei der im Nachhinein festgestellt werden konnte, dass die CO2-Messwerte innerhalb kürzester Zeit in die Höhe geschossen sind. Ich war an dem Abend Night Manager und es hat sich herausgestellt, dass an diesem Abend eine Nebelmaschine ausprobiert wurde. Die Daten zeigen aber deutlich, dass das in diesem Raum unter den momentanen Bedingungen keine gute Idee ist und wir die Nebelmaschine überdenken müssen. Außerdem haben wir uns für die Pepsi Boston Bar noch eine zusätzliche Raumluftanlage angeschafft. Da hat uns COMo sehr geholfen, die Daten in ihrer visualisierten Form den Mitarbeitenden zu zeigen und ihnen dadurch unsere Entscheidung möglichst nachvollziehbar zu erläutern.

Die Messwerte unterstützen dich also im Gespräch sowohl mit den Eigentümer:innen, als auch mit den Mitarbeitenden?
Genau, die Messwerte bilden eine fantastische Gesprächsgrundlage. Anhand von Daten können wir so Fakten aufzeigen – auch über einen längeren Zeitraum. Da wir die verschiedenen Räume sehr unterschiedlich nutzen – von Partys bis hin zu Salsa-Kursen –
hilft es uns enorm, die jeweilige Situation nicht nur nach Gefühl einschätzen zu müssen, sondern anhand der realen Messwerte. So wird ein Gefühl zur Realität. Ich möchte aber betonen, dass leider nicht alle Clubs diese Möglichkeit haben. Wir nutzen dieses Privileg jedoch aktiv. Unser Ziel ist es, der erste klimaneutrale Club Berlins zu werden!

Marcel Weber und unser Sensor sind ein Herz und eine Seele.


Wie hängen Raumluft und Nachhaltigkeit für dich zusammen?
Diese Themen sind ganz klar miteinander verwoben. Die Aktivist:innengruppe “die letzte Generation” klebt sich auf die Straße. Das sind die gleichen jungen Menschen, die auch jetzt nach der Pandemie in unseren Club kommen – das Zielpublikum hat sich verändert, die Menschen fordern auch aktiv gute Luftqualität ein. Besonders als queerer Club war es uns immer schon ein grosses Anliegen, mit unserer Community in einem engen Austausch zu sein. Wir nehmen Feedback und konstruktive Kritik sehr ernst und arbeiten konstant daran, dass dieser Ort ein Safer Space bleibt, an dem sich alle aufgehoben fühlen. Meine Maxime am Anfang war: Keine Gefahr für Leib und Leben, kühles Bier und guter Sound – jetzt ist auch noch eine qualitativ hochwertiger Raum dazugekommen. Damit meine ich nicht nur eine ästhetische Einrichtung, sondern auch eine gesunde Raumluft! Diesem Satz ist wohl nichts mehr hinzuzufügen! Vielen Dank für das spannende und unterhaltsame Interview Marcel!


“Ein Gefühl wird zur Realität” – dieses Zitat von Marcel bleibt noch eine ganze Weile in unseren Köpfen hängen. Wie können wir etwas unsichtbares wie Raumluft begreifbar machen? Das Beispiel des SchwuZ zeigt, wie das funktionieren kann! Es gelingt ihnen, die CO2-Messwerte der Sensoren direkt in konkrete Handlungen zu überführen und über ihren
Zweck zu informieren. Aus Daten werden Taten!


Wer zum Thema Lüften mehr erfahren will, ist herzlich zu unserer Veranstaltung “COMoWorkshop: dicke Luft war gestern” am 23. August 2022 an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin eingeladen. Weitere Details dazu, gibt es hier!


COMo ist ein Projekt der Technologiestiftung Berlin in Zusammenarbeit mit der Hochschule
für Technik und Wirtschaft Berlin und den Initiatoren, der KOING GmbH, mit Förderung der
Senatskanzlei Berlin

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